Noch 300 Meter tiefer.

Am Sonntag war Maria wieder gesund. Wir frühstückten auf der Terrasse und machten die Morgenvisite im Hospital gemeinsam. Auf dem Pedia-Ward in Valencia liegt das Kind mit dem bisher niedrigsten von mir gemessenen MUAC (Mid Upper Arm Circumference): Sechsundneunzig Millimeter.

Ah, schon wieder eine Stelle, an der ich medizinischen Belang unterbringen kann! Was ist eigentlich ein MUAC und was macht ihn so bedeutend?

MUAC-Messbändchen

Also, das ist so: Der MUAC korreliert von allen Körpermaßen am Besten mit dem Ausmaß der Unterernährung. Und er ist ganz leicht zu messen. Deshalb ist der MUAC das, was man im WHO-Sprech ein „powerful diagnostic instrument“ nennt. Wenn man älter als 6 Monate und länger als 65 cm ist, sollte man tunlichst einen vernünftigen MUAC haben, sonst  ist man unterernährt. Unter 125 mm wird es kritisch, und unter 115 mm ist die Diagnose klar: SAM. „Severe Acute Malnutrition“.

Wir sehen viele SAM-Kinder, und leider gehörten die beiden hier während meines Einsatzes verstorbenen Kleinkinder auch in diese Gruppe.

„ACF“, Action contre la Faim, hat ein durchdachtes Programm auf den Weg gebracht, um schwer unterernährten Kinder wieder zu Fleisch auf den Rippen zu verhelfen. Dazu gehören ein stationäres und ein ambulantes Behandlungskonzept, gut ausgebildetes Personal, viel Papierkram, 2 Spezialmilchen und eine Spezial-Erdnussbutter. Hier in Buda wird seit Mitte 2011 das ACF-Programm umgesetzt. Sicher ist es zu früh, um den Erfolg beurteilen zu können. Aber wir haben eine Guideline und wissen, was als nächstes dran ist.

Und es zeigt sich, dass die Guideline beim einzelnen Patienten im Hospital immer gut anwendbar ist und das Ergebnis messbar, wägbar ist: Erst F75-Milch, bis keine Ödeme mehr da sind. Dann F100-Milch, bis das Kind zunimmt. Dann Ee-Zee-Paste, und dann Entlassung.

Entlassung. An der Stelle wird das Programm vom geschlossenen zum offenen System, und hier fangen leider die Probleme an. Vorausgeschickt: Viele kommen zu ihren Kilos und können von ihrer SAM geheilt werden. Aber viel öfter als wir wollen stehen wir vor Problemen wie: Nicht zum Follow-up gekommen. Ee-Zee-Past nicht gegessen, dafür Reis. Ee-Zee-Paste-Phase beendet, aber nix zum Essen daheim. Abnahme oder keine Gewichtszunahme wg. immer wieder krank wg. schlechter Abwehr. Und, und, und.

Es gibt echt noch viel zu tun gegen Hunger. An zuwenig Nahrungsmitteln liegt es nicht, jedenfalls nicht generell. Wie sagte Father Franco: „The Philippines are a rich country with a poor people“. So sieht’s aus.

“So sieht’s aus”, das bringt uns zum nächsten Thema: Wie sieht eigentlich die Insel sonst noch aus? Um 12 war die Visite beendet. Statt 1 Wochenende Arbeit hatte ich noch 2 freie Tage vor mir, und in denen folgte  ich Dietmars Einladung, nach Jampason, an’s Meer.

3 ½ Stunden Busfahrt. 45 Minuten Multicab (wie Jeepney, nur kleiner).  4 Minuten Fußweg, 3 mal fragen. So kommt man in’s Paradies.

Das Ufergrundstück ist groß genug für einen kleinen tropischen Mischwald. Daran grenzt die Anbaufläche, mit der Dietmar und seine Frau Vilma ihre „Scholars“ Gärtnern und Landwirtschaft lehren.

Das Haus steht im Wald und ist aus einheimischem Material. Lokaltypisches rotes Blechdach. Bambus in mehreren Verarbeitungsarten: Als Verkleidung – Paneel oder Natur -, als Ständer, als Flechtwerk. Kaum Wände, die braucht man hier nicht. OK, die Schlafzimmer. Die haben welche. Sonst gibt es hier und da durchsichtige PVC-Folien, die als Windschutz dienen können und sonst hochgezogen werden. Aber das beste ist die Küche! Claudia, sowas hast Du Dir immer gewünscht! 3 offene Seiten, Kochen in der Natur. Innen und außen, außen und innen – der Unterschied wird unwichtig, angenehm ist es überall.

Von der Küche geht’s auf die Terrasse. Von der Terrasse in’s Philippinische Meer sind es 20 Meter. Wenn man bis zur Anlegerspitze geht, sind es 80 Meter. Anleger und Haus und Terrasse und überhaupt alles wurde von Dietmar geplant und mit lokalen Handwerkern in’s Werk gesetzt. Und siehe, es ist gut!

Mir war 1 ½ Tage sehr wohl! Die meiste Zeit habe ich am Ufer mit einem Glas Wasser im Schatten gesessen und gelesen. Zweimal war ich schnorcheln und ließ 1/3 der Tiere aus „Findet Nemo“ an meiner Taucherbrille vorbeischwimmen (Immer auf Draht: Wo ist die giftige Seeschlange, mit der Dietmar manchmal um die Wette schwimmt?).

Sonst? Sonst unterhielt ich die Hunde. Mit Steineschmeißen: Beach holt faustgroße Kiesel aus 2-3 m Tiefe. Arthur hebt da noch nichtmal den Kopf. Ihn interessieren die Wacker so ab Kindskopfgröße. Es gab Vilmas grandios köstliches Essen direkt am Meer, es gab jede erdenkliche Art von Musik, es gab 2 kurze Spaziergänge und natürlich wieder 2 bombastdramatische Sonnenuntergänge. Und am Horizont leuchtete weiß die Koralleninsel. Paradies.

Gestern ging’s retour: Mit Familie Schug nach Villanueva, von da mit dem Taxi (Danke, Dietmar, das war die beste Idee) in’s Souveniergeschäft in der Limketkai Mall, Mitbringsel kaufen. Dann wieder Taxi zum Busbahnhof und dann 6 ½ Stunden (extra wenig getrunken) im AirCon-Rumpelbus zurück hinter die sieben Berge. Das mit dem wenig Trinken wäre garnicht nötig gewesen: Alle paar Stunden hält auch der NonStop-Bus an einer Eatery. Da gibt’s nicht nur Snacks und Getränke, man kann auch für 2 Pesos auf’s Klo.

Im Bus, das finde ich sympathisch, gibt es immer einen Schaffner. Dem sagt man auf Englisch, wo man aussteigen will, der ruft es auf Visayan nach vorn in Richtung Fahrer. So wissen alle im Bus Bescheid und der Ausstieg ist gesichert. Klappt super und ist besonders im Dunkeln hilfreich. Gestern auch.

Zuhause ein Bier und Abendbrot, noch ein Bier.
Nachgemessen: Gürtel aktuell 7 cm enger als bei Anreise.
Bis zur Abreise wird ab morgen durchgearbeitet. 10 Tage, drei Dienste.
Gute Nacht bis morgen.

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4 Antworten auf Noch 300 Meter tiefer.

  1. Sabine sagt:

    7 cm ? Hast Du das wirklich gemessen ? Ich möchte nicht unter Zahnstochern leben!
    Na warte; die Adventszeit kommt mit Marzipanbrötchen & Co. Ich kaufe mir schon mal ein besonders hübsches Zentimeterband.

  2. Claudia sagt:

    Draußen kochen? Drinnen kochen?
    Wir leben zur Zeit fast vegetarisch und kochen wie immer täglich.
    Allerdings nicht Blick aufs Meer, sondern auf bunt beflaggte Bäume, die in diesem Herbst besonders schön zu leuchten scheinen. Da kaum Wind geht, fallen die Blätter gerade herunter und bilden die Krone des Baumes zweidimensional auf dem Boden ab. Auf dem Schäferhof ist das gerade besonders gut zu beobachten.
    November in Hamburg ist ein guter Anfang für die Marzipansaison ;)

  3. thomas sagt:

    Was für Gegensätze! Wobei das Wetter und die Sonnenuntergänge ja noch das Geringste sind! Vielen Dank, Conny, für Deine blogs! Hier trinkt man sein Bier auf dem Millerntor mit fremden Dauerkarten! Schieb doch noch 20 Dienste hinterher! Buda braucht Dich und das Millerntor braucht mich!

  4. Sabine sagt:

    Einspruch

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