Anders, unter anderem.

Geduld

Der Wartesaal (hier kurz vor Feierabend)

Wir arbeiten zügig und versuchen, während der Öffnungszeiten alle Patienten zu versorgen. Trotzdem gibt es natürlich Wartezeiten, auch mal lange. Das bin ich aus der Praxis gewohnt. Ungewohnt ist der Umgang mit der Warterei: Von den Filipinas und -os hören wir weder einen Vorwurf noch ein Drängeln noch sonst eine Äußerung des Unmuts. Sie sitzen halt da auf den Bänken. Wenn das Bildungsfernsehen interessiert (“Wie ernähre ich mein Kind am Besten?”, “Korrektes Stillen”, “Zähneputzen – aber richtig!” und dergleichen), dann wird in die Richtung des TV-Apparats geschaut. Wenn nicht, dann woandershin. Oder man schläft halt eine Runde. Zeit ist genügend da. Mehr jedenfalls als alles andere.

Selbst wenn der Arztkontakt sich in den Nachmittag hinein verzögert und damit klar ist, dass die ferne Heimat heute nicht mehr erreicht werden kann: Das ist alles kein Problem, bleiben wir eben hier – entweder im “Watcher’s House” oder in der gegenüberliegenden Pension, wo die Übernachtung 30 Pesos (50 Cent) kostet. Morgen ist auch noch ein Tag.

Freundlichkeit
Hier kommt man eigentlich nie auf trübe Gedanken. Jedenfalls nicht, wenn andere Menschen in der Nähe sind. Das müssen weder Freunde noch Animateure sein: Es gibt einfach immer einen Anlass, zu lächeln, bestätigend zu nicken, einen kleinen Scherz zu machen. Und weil das für alle Einheimischen gilt, färbt diese freundliche Art schnell ab und man läuft selber die ganze Zeit mit einem Dauerlächeln durch die Gegend. Ist oberflächlich, klar. Erleichtert aber das gemeinsame Leben und Arbeiten.

Gleichmut
Hier gehört zum Krankenhausalltag vieles, was mich zuhause nervös machen würde, ägerlich oder wütend. Die Schwestern lassen nachts das Licht an, wenn sie das Zimmer verlassen. Die Ärzte sprechen kaum mit den Patienten, fragen nicht nach ihren Wünschen (ich passe mich da übrigens den Gepflogenheiten an). Die ambulanten Patienten warten oft 1 1/2 bis 2 Stunden, um das Untersuchungszimmer nach 3 Minuten wieder zu verlassen mit einem Rezept für Nasentropfen und Lagundi (lokales pflanzliches Heilmittel). In den ersten Tagen habe ich noch mit Protest gerechnet – in Deutschland hätte es den auch gegeben.

Hier nicht. Es kommt so wie es kommt.

Das ist nicht aufgesetzt, das ist so. Es lässt ahnen, dass die Menschen Schlimmeres erwarten. Oder gewohnt sind.

Anfang dieser Woche verloren wir an einem Tag zwei Kinder durch Austrocknung. Die Mütter weinten sehr. Die Väter packten den Familienbesitz ein. Dann nahmen die Eltern ihr Kind und gingen. Danach war alles so, wie es vorher auch war. Niemand fragte nach, niemand wurde getröstet. Auf dem Rückweg vom Emergency Room in die Ambulanz erzählte Alfonso by the way, dass am Wochenende das 16jährige Mädchen mit Brechdurchfall während der Verlegung nach Maramag gestorben sei. Und nun der Nächste, bitte!

Die Menschen sind dem Tode näher. Als Einzelner und als Gemeinschaft. Da kann man Gleichmut gut gebrauchen.

Dieser Beitrag wurde unter Buda veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong>